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Die „Nach-Mauer-Generation“ hat viele Fragen

Rund eine Million Menschen feiern am 3. Oktober 1990 die Deutsche Einheit. Die jungen Warsteiner, die sich derzeit auf ihr Abitur vorbereiten, sind da noch lange nicht auf der Welt.

Jeanne-Marie (18) möchte den Tag der deutschen Einheit besser verstehen.

Jendrik (17) hilft seit einiger Zeit gelegentlich im Asylbewerberheim.

Charlotte (17) wu?nscht sich mehr und größere Feiern zur deutschen Einheit.

Lukas (18) ärgert sich, dass das Wort „Osten“ so negativ besetzt ist.

Julia (17) sieht keinen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland.

Warsteiner Gymnasiasten setzen sich differenziert mit dem Tag der Deutschen Einheit auseinander

Sie kennen Deutschland nur als ein Land, eine Teilung in Ost und West ist für sie unvorstellbar: Als die angehenden Abiturienten des Warsteiner Gymnasiums auf die Welt kamen, war die Deutsche Einheit Fakt, ihre Umsetzung in vollem Gange. Selbst „normale“ Grenzen haben diese jungen Menschen innerhalb Europas nie kennengelernt: Als sie 1997 oder 1998 geboren wurde, war das Schengen-Abkommen bereits zwei Jahre in Kraft getreten. Was bedeutet für diese Generation der heutige 25. Jahrestag der Deutschen Einheit? Es ist ein Tag, den sie nur aus Erzählungen kennen, aus Dokumentationen im Fernsehen und aus dem Geschichtsunterricht. Wir haben den Sozialwissenschaftskurs von Cornelia Brandt besucht und genau das gefragt: Wie erlebt ihr die deutsche Einheit? Die Diskussion, die daraus entstand, war erstaunlich offen, reflektiert und schlug den Bogen von der Teilung Deutschlands über die Wiedervereinigung bis zur aktuellen Flüchtlingskrise. Und sie zeigte, dass auch für die „Nach-Mauer-Generation“ der heutige Tag irgendwie ein besonderes Datum darstellt.

 

Man muss diesen Tag für uns begreifbarer machen

Jeanne-Marie (18)

Ich fin­de es ganz schwie­rig, mich in die Men­schen da­mals hin­ein­zu­ver­set­zen. Ich kann mir das nicht vor­stel­len, wie ein ge­teil­tes Land sein mag. Wenn hier Leu­te sa­gen, die aus’m Os­ten, die sind an­ders, fin­de ich das selt­sam. Wir sind doch ein Land, da gibt es Or­te, die ha­ben Na­men, da muss man doch nicht sa­gen: Die aus’m Os­ten. Man müss­te die­sen Tag der Deut­schen Ein­heit für uns, die da­nach ge­bo­ren sind, be­greif­ba­rer ma­chen. Es muss deut­li­cher wer­den, wor­um es geht. Wir fei­ern Os­tern be­wuss­ter und grö­ßer als die­sen Tag – aber war je­mand von uns Os­tern da­bei? Nein. Aber beim Tag der Deut­schen Ein­heit wa­ren un­se­re El­tern da­bei, das müss­te für uns doch ei­gent­lich viel be­deut­sa­mer sein.

 

Wir sind doch ein Land

Jendrik (17)

Die Mau­er ist erst so ganz weg, wenn wir auf­hö­ren, die Ge­häl­ter in Ost und West stän­dig mit­ein­an­der zu ver­glei­chen, den­ke ich. Das ist in vie­len Um­fra­gen im­mer noch so, dass da un­ter­schie­den wird zwi­schen Ost- und West­deutsch­land. Da­bei sind wir doch ein Land. Ich glau­be, dass sol­che ein­schnei­den­den Er­eig­nis­se wie der Mau­er­fall ei­nen Men­schen prä­gen; sie ver­än­dern dich, egal, ob sie po­si­tiv oder ne­ga­tiv sind. In­so­fern fin­de ich es ein biss­chen scha­de, dass wir das nicht er­lebt ha­ben. Ich glau­be nicht, dass die Flücht­lings­kri­se uns per­sön­lich so prä­gen wird, wie es der Mau­er­fall viel­leicht mit un­se­ren El­tern ge­macht hat. Aber ich den­ke auch, dass wir als Ge­ne­ra­ti­on, als Ge­sell­schaft durch die Flücht­lings­kri­se ei­ne Ent­wick­lung durch­lau­fen, die es sonst nicht ge­ge­ben hät­te.

 

Wir kennen Grenzen doch gar nicht wirklich

Charlotte (17)

Mei­ne Groß­el­tern ha­ben Ver­wand­te in Ost­deutsch­land. Sie ha­ben mir da­von er­zählt, wie das war, da rü­ber zu fah­ren und wie ihr gan­zes Au­to an der Gren­ze aus­ein­an­der­ge­nom­men wur­de. Ich fin­de das ganz schwer, sich das vor­zu­stel­len. Ich war vor zwei Mo­na­ten in Un­garn, am Bahn­hof in Bu­da­pest. Wenn ich jetzt die Bil­der se­he, dass dort kei­ne Zü­ge mehr fah­ren und die Men­schen nicht wis­sen, wo sie blei­ben sol­len, fra­ge ich mich: Was wä­re, wenn ich jetzt dort wä­re? Wir ken­nen Gren­zen doch gar nicht wirk­lich, wir fah­ren ein­fach von ei­nem Land ins an­de­re. Den Fei­er­tag zur Deut­schen Ein­heit fin­de ich ir­gend­wie merk­wür­dig: Ich ha­be ge­se­hen, wie die Fran­zo­sen ih­ren Na­tio­nal­fei­er­tag be­ge­hen, da ist über­all ei­ne rie­si­ge Par­ty. Und bei uns? Da lau­fen je­des Jahr die glei­chen Do­ku­men­ta­tio­nen im fern­se­hen und das war’s.

 

Leider hat allein das Wort Osten einen faden Beigeschmack

Lukas (18)

Ich fin­de al­lein das Wort „Os­ten“ schon ir­gend­wie merk­wür­dig, wenn man es in Deutsch­land sagt. Ich kann das gar nicht wirk­lich er­klä­ren, aber ir­gend­wie klingt das so, als ge­he man ge­dank­lich zu­rück in die Zeit, als un­ser Land ge­teilt war. Klar, wir spre­chen auch von Nord- und Süd­deutsch­land, aber die­se Be­zeich­nun­gen sind viel ein­deu­ti­ger geo­gra­fisch ge­meint, als wenn man von „Ost­deutsch­land“ spricht. Viel­leicht liegt es auch an dem Kon­text, in dem man Men­schen vom „Os­ten“ re­den hört. Meis­tens sind es ne­ga­ti­ve Sa­chen: die Ge­häl­ter sind viel nied­ri­ger, die Ge­walt hö­her, die In­fra­struk­tur schlech­ter. Ir­gend­wie hat da­durch al­lein das Wort „Ost­deutsch­land“ schon ei­nen fa­den Bei­ge­schmack. Das fin­de ich scha­de.


Ich kann mir ein geteiltes Land gar nicht vorstellen

Julia (17)

Ich kann es mir nicht vor­stel­len, wie es ist, in ei­nem ge­teil­ten Land zu le­ben. Das ist jetzt so nor­mal, dass Deutsch­land ein Land ist. Mei­ne Groß­el­tern ha­ben mir da­von er­zählt, wie sehr sie sich ge­freut ha­ben, als die deut­sche Wie­der­ver­ei­ni­gung Rea­li­tät wur­de. Sie le­ben da­mals in der ehe­ma­li­gen DDR – für mich ist das heu­te nur ein an­de­res Bun­des­land, in dem sie woh­nen. Was mich stört, sind die­se Aus­sa­gen über „ty­pi­sche Ost­deut­sche“: Was ist denn bit­te­schön ty­pisch ost­deutsch? Ei­nen an­de­ren Dia­lekt gibt es auch in Süd­deutsch­land. Man kann nicht al­les über ei­nen Kamm sche­ren und sa­gen: So sind halt die Ost­deut­schen. Vie­le stel­len die neu­en Bun­des­län­dern im­mer als arm dar, als wenn man dort je­dem Haus an­se­hen wür­de, dass al­les zer­fällt. Da­bei sieht es da doch ge­nau­so aus wie bei uns. Zu­min­dest wir ken­nen die Städ­te nur so.


Samstag, 3. Oktober 2015
Von: A. Gemünd, WP, 3.10.15



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